Martinskirche

Friedhof Christenberg mit Blühfläche

Die Martinskirche zeigt in ihrer heutigen Gestalt verschiedene Bauphasen. Der Westturm stammt aus dem 11. Jahrhundert; mit seinen über zwei Meter dicken Wänden musste er die früher übliche Funktion eines Wehrturmes erfüllen. Der Turmhelm mit den vier Ecktürmchen wurde erst 1520 aufgesetzt und zeitgleich der hohe Altarraum im Osten angefügt. Das Kirchenschiff ist mit seinen romanischen Fenstern der älteste Teil dieses Gotteshauses.

Martinskirche von Süden
Martinskirche von Süden, Foto: Rainer Waldinger

Zwischen den beiden Strebepfeilern sehen Sie als Fischgrätmuster ausgeführtes Mauerwerk. Es wurde seit dem Altertum verwendet und von den Römern als „opus spicatum“ bezeichnet.

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Mauerdetail „Opus Picatum“

Die starken Strebepfeiler weisen darauf hin, dass die Wände nach außen drückten. Deshalb hat man 1817 die steinerne Gewölbedecke aus dem Kirchenschiff herausgebrochen und mit diesen Steinen das Kirchenschiff erhöht; deutlich ist der Maueransatz zu erkennen. Zeitgleich mit der Erhöhung des Kirchenschiffes baute man Emporen und große rechteckige Fenster in die Kirche. Oben in der Nordwand sehen Sie noch zwei alte Fensterstürze. 1953 war die Kirche wieder reparaturbedürftig. Man wählte eine einfache und historisch dennoch richtige Lösung. Die baufälligen Emporen wurden aus der Kirche entfernt, die hohen Fenster vermauert und durch die ursprünglichen rundbogigen Fenster ersetzt.

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Blick vom Kirchenschiff in den Chorraum

Nach diesen vielen Informationen betreten Sie nun die Kirche erneut durch eine schlicht gearbeitete Haupteingangstür. Suchen Sie bitte zunächst einen Sitzplatz auf und lassen Sie die spartanische Atmosphäre auf sich wirken. Der Reiz dieses gänzlich undekorierten Gotteshauses wird noch deutlicher, wenn die Kerzen das Kirchenschiff erhellen und ein lebhaftes Schattenspiel auf den geweißten Wänden entfalten.

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Epitaph für Anna Catharina Wernner

Gehen Sie jetzt an der Kanzel aus dem Jahre 1618 vorbei und betreten Sie den spätgotischen Chorraum aus dem Jahre 1520. An der rechten Seite fällt sofort eine hölzerne Gedenktafel auf. Ein Pfarrer hat sie für seine Frau hier anbringen lassen, die am 24. Dezember 1700 im Wochenbett gestorben war. Auf der bildlichen Darstellung sehen Sie die damals übliche Anordnung der Familie. Links die männlichen Familienmitglieder, rechts vom Kreuz die weiblichen. Die zu Füßen der Lebenden liegenden verstorbenen Familienmitglieder sind mit einem kleinen schwarzen Kreuz gekennzeichnet. Vergleichbar wurden damals auch Grabsteine gestaltet; halbverwittert stehen einige an der Ostseite der Kirche.

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Altarraum
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Blick ins Chorgewölbe

Dass die Kirche „St. Martin“ bis zur Reformation 1527 katholisch war, macht uns eine Sakramentsnische links vom Altar bewusst. Sie war früher mit einem Gitter verschlossen und der Aufbewahrungsort der Hostie, die als der Leib Christi verehrt wurde. An der rechten (südlichen) Wandseite sehen Sie deutlich niedriger ebenfalls eine Mauernische. Man vermutet, dass durch diese ehemalige Maueröffnung jenen das Abendmahl nach außen gereicht wurde, die wegen einer Ansteckungsgefahr die Kirche nicht betreten durften.
Im Boden des Altarraumes finden wir mehrere eingelassene Grabsteine. Früher wollte man in der Kirche oder möglichst dicht an ihrer Außenmauer beerdigt werden, um auch im Tod nah bei Gott zu sein.

tabernakel
Tabernakel
taufstein
Taufstein

Blicken wir nun zurück in das Kirchenschiff: Wände, Fußboden und Decke wurden 2006 saniert und die alten Bänke wurden durch bequeme Stühle ersetzt. Das schlichte Taufbecken aus Rotsandstein datiert ins 15. Jahrhundert. Die Heizung ist in den Wänden und unter den Bodenplatten versteckt.

Schauen Sie nun nach rechts auf die Nordwand des Kirchenschiffes. Beim zweiten romanischen Fenster ist der Fensterbogen freigelegt worden, ebenso sehen Sie rechts unterhalb desselben Fensters eine Fläche, in der die Rotsandsteine des Mauerwerkes sichtbar sind. So sahen die ganzen Innenwände des Kirchenschiffes im 11. Jahrhundert aus. Die waagerechten Fugen zwischen den Steinen  waren von den Maurern als Schattenfugen mit der Kelle profiliert herausgearbeitet. Diese Arbeitstechnik ist in dem kleinen Ausschnitt schwer zu erkennen, ruft aber unter Bauforschern größtes Interesse hervor, da der Fugenverstrichputz so typisch für die damalige Zeit  war und bauhistorisch wertvoll ist.

Am westlichen Ende des Kirchenschiffes, unter der Treppe zum Turmaufgang, steht ein ungewöhnliches „Tier“ auf einem Sandsteinsockel. Es handelt sich dabei um einen Giebelkonsolstein in der Form eines stilisierten Löwen, der ursprünglich an der Mauerkante des Schiffes, unterhalb der Dachtraufe eingemauert war. Symbolisch galt er zur Abwehr böser Einflüsse.

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Giebelkonsolstein „Löwe“
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Grabplatte in der Südwand

Blicken Sie nun in Richtung Turm. Über der Holzverkleidung sehen sie das Gewölbe. Hinter der linken Außentür befindet sich eine Außenkanzel aus spätgotischer Zeit. Sie können diese nach dem Verlassen der Kirche von außen besteigen, um den Blick über den Friedhof schweifen zu lassen. Schauen Sie dann nach links auf den in der Wand eingelassenen Grabstein. Er erinnert an Pfarrer Wigand Mog, der 1618 verstorben ist. Während seiner Pfarrtätigkeit im Kirchspiel Christenberg starben 560 Einwohner an der Pest. Schon einer seiner Vorgänger hatte, um näher bei seiner Gemeinde sein zu können, 1503 den Pfarrsitz vom Christenberg in den Ort Münchhausen verlegt. Bis zur Reformation blieb der Christenberg aber ein bedeutender Dekanatssitz; von hier wurden die Pfarrstellen für ein weites Umfeld  verwaltet.

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Außenkanzel
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Südausgang unter der Außenkanzel

Nun entfernen Sie sich bitte ein paar Schritte von der Kirche, um einen besseren Gesamteindruck zu gewinnen. Wenn Sie zurück auf die Außenkanzel blicken, sehen Sie rechts, dass der gotische Altarraum von einem spitzen Dachreiter gekrönt wird. Aus bestimmtem Betrachtungswinkel ist deutlich zu sehen, dass er eine starke Neigung hat. Die schlichte Baukunst verschiedener Epochen spiegelt religiöses Empfinden und sie fügt sich spannungsgeladen, aber liebenswert aneinander.

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